Vorsicht Teenager! Achtung Eltern!
Allgemein wird als Pubertät (von lat. Pubertas
"Geschlechtsreife") die Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, etwa
zwischen 10 und 18 Jahren bezeichnet, in der ein Mensch begleitend durch
eingreifende körperliche und psychische Veränderungen die Geschlechtsreife
erlangt.
Mit Pubertät wird oft etwas Instabiles und Turbulentes assoziiert.
Eine allgemeine Unsicherheit gegenüber Pubertät, Vorurteile und sogar Angst vor
diesem Phänomen herrschen in der Gesellschaft. Viele Eltern pubertierender
Jugendlicher sind ratlos und verzweifelt. Manche fühlen sich gescheitert in der
Erziehung ihrer Kinder und fragen sich, ob sie noch Einfluss auf ihre
Nachkommen haben. Aus der Perspektive Jugendlicher ist die Situation ebenfalls
sehr kompliziert. Sie fühlen sich oft missverstanden, verloren und in ihrer
Experimentierlust und Kreativität eingeschränkt. Ist eine Erziehung im
Jugendalter überhaupt noch möglich bzw. plausibel? Wenn ja, wie soll diese
gestaltet werden? Welche Ziele soll sie haben?
Sowohl ein strenger Umgang mit Pubertierenden, wie z.B.
Bestrafungen, Verbote, als auch Gleichgültigkeit bzw. die vollständige Aufgabe
der Erziehung bringen im besten Fall sehr wenig. Hierbei kann sich der ohnehin
labile psychische Zustand Jugendlicher in der Pubertät erschweren. Die
Hirnforschung stellt fest, dass pubertierende Jugendliche nicht nur von ihren
Hormonen beeinflusst werden. Ihre Gefühle und ihr Verhalten hängen sehr stark
von sozialen Faktoren, wie Eltern, Schule, Freunde und Medien ab. Daher
brauchen Jugendliche in dieser Phase
nicht nur Zuspruch, Orientierung und Verständnis, sondern auch eine
veränderte, kompetente, auf Wissen und entsprechende Fertigkeiten basierte
Erziehung. Derartige Erziehung soll beim Erlernen der Unabhängigkeit,
Selbstständigkeit und beim Erlangen des Selbstbewusstseins, also einer gesunden
Identitätsbildung eines Menschen, begleiten und unterstützen.
„...eine entscheidende, empfindliche und Rücksicht heischende Periode“
Maria Montessori maß eine außerordentliche Bedeutung der
Erziehung der Jugendlichen bei. Die neuesten Studien bestätigen die Thesen
Montessoris, dass Pubertät eine besonders beeinflussbare, wechselhafte und
labile Entwicklungsphase eines Menschen ist. Montessori sprach von der
„zweiten Geburt“, der Geburt zu einem sozial und sexuell ausgereiften Wesen.
Kurz und treffend beschrieb sie die sensible Phase zwischen 12 und 18 Jahren
als „die Reifezeit, die durch einen Zustand der Erwartung gekennzeichnet
ist, durch die Bevorzugung schöpferischer Arbeiten und durch das Bedürfnis das
Selbstvertrauen zu stärken“.
Eine Umbauphase der hohen Herausforderungen
Diese Phase der Krisen ist für Jugendliche verbunden mit
einer sprunghaften und unregelmäßigen Entwicklung des Körpers und der Psyche.
Diese körperlichen und geistigen Veränderungen sind dermaßen stark, dass sich
die gesamte Persönlichkeit neu organisiert. Während dieser wichtigen Umbauphase
vollzieht sich eine gravierende hormonelle Umstellung im Körper, dass großen
Stress und somit Verunsicherung, Widersprüchlichkeit und Stimmungsschwankungen
auslöst. Neben dem Bedürfnis nach Aktivität steigt gleichzeitig das Bedürfnis
nach Einsamkeit. Die Wahrnehmung der Umwelt findet nicht auf rationaler,
sondern vielmehr auf emotionaler Ebene statt, was Missverständnisse und
emotionale Überreaktionen hervorruft. Während die Konzentrationsfähigkeit und
Gedächtnisleistung bei Jugendlichen zurückgehen, tritt Verlangen nach
Selbstfindung und -bestätigung in den
Vordergrund. Jugendliche versuchen sich mit eigener Lebensanschauung
auseinander zu setzen, sich in der Gesellschaft zu „positionieren“, selbständig
Entscheidungen zu treffen und ihr angereichertes Wissen aktiv anzuwenden.
M.Montessori betont, dass in dieser äußerst sensiblen Entwicklungsperiode
Jugendliche besonders stark auf die Rücksicht, auf die verständnisvolle
Reflexion und vertrauensvolle Begleitung seitens Eltern sowie auch Schule
angewiesen sind. Die Unterstützung und die Stärkung
des Selbstgefühls Jugendlicher ist außerdem für die Prävention des in der
Pubertät besonders erhöhten Suchtpotenzials (Alkohol, Drogen, Essen) von enormer
Bedeutung.
Die Stärken und Interessen Jugendlicher als Ausgangspunkt der Erziehung
Die Notwendigkeit der Erziehung in der Pubertät besteht außer
Zweifel. Eine weitere Herausforderung stellt die Formulierung der
Erziehungsziele dar. Im Laufe des herkömmlichen Erziehungsprozesses wird
seitens „Erzieher“ oft versucht, auf
Jugendliche absichtsvoll einzuwirken, so dass diese bestimmten
Vorstellungen Erwachsener entsprechen. Oft setzen Erwachsene ihre eigenen Ziele
bezüglich ihrer Kinder durch.
Im Gegensatz hierzu lädt M. Montessori dazu ein, Kinder und
Jugendliche in erster Linie gezielt zu beobachten, um sie kennen zu lernen und
herauszufinden, was sie zum Wachstum und Lernen brauchen. M. Montessori war der
Meinung, dass jedes Kind von Geburt einen eigenen inneren Bauplan hat, der
seinen körperlichen und geistigen Wachstum bestimmt. Die Verwirklichung
dieses Bauplans ist das oberste Erziehungsziel nach Montessori. Von diesem
differenzierten Menschenbild ausgehend können Eltern ihrem Kind eine optimale
Umgebung für dessen Entwicklung schaffen, deren wichtigen Teil sie selbst
darstellen sollten. Die Begleitung Jugendlicher sollte nicht mit einem Zwang
bzw. festen Erwartungen verbunden sein, sondern vielmehr eine gemeinsame Suche
nach den Möglichkeiten, Wegen und Zielen darstellen. Die Aufgabe der Eltern
besteht nach M.Montessori darin, „den einzelnen Jugendlichen in den Blick zu
bekommen und ihn abzuholen, wo er/sie gerade steht, zu begleiten und Impulse
für Aktivitäten anzubieten, ohne die eigenen Ziele als obersten Maßstab zu
setzen“. Folgende Schlüsselkompetenzen sind aus Sicht Montessoris
unabdingbar für die Selbstfindung eines Jugendlichen: Realistische
Selbsteinschätzung, Akzeptanz seiner selbst mit eigenen Stärken und Schwächen,
positives Selbstwertgefühl und notwendige
Kompetenzen (z. B. fachlich, sprachliche usw.). Hierbei bewertet sie
bspw. den erfolgreichen Schulabschluss gar nicht als vordergründig.
Erdkinderplan: „Neue“ Jugenderziehung nach Maria Montessori
Infolge ihrer Beobachtungen und Überlegungen verfasste Maria
Montessori ein pädagogisches Konzept der Jugenderziehung, das Erdkinderplan
oder Erfahrungsschule des sozialen
Lebens genannt wird.
Montessori kritisierte das bestehende Schulsystem als unfähig
Jugendliche auf das reale Leben vorzubereiten, ihnen unterschiedliche Lern- und
Arbeitsformen beizubringen, sowie Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
anzueignen. Trotz zahlreicher Reformen des Schulsystems sind die meisten
Kritikpunkte Montessoris nach wie vor aktuell. Der Frontalunterricht statt
interaktiven Lernens findet immer noch am häufigsten statt, es fehlt oft der
praktische Bezug zum vermittelten Wissen sowie Berücksichtigung individueller
Bedürfnisse und Fähigkeiten einzelner Schüler. Anstellte des
fächerübergreifenden Lernens wechseln sich die Unterrichtsstunden ohne
logischen Zusammenhang ab. Leistungsnachweise werden bis jetzt durch Noten
ausgedruckt und vermitteln keine Informationen über den individuellen
Entwicklungsprozess einzelner Jugendlicher. Nach der Ansicht Montessoris muss
die Erfahrungsschule des sozialen Lebens den Bedürfnissen Jugendlicher
gerecht werden, ihnen einen lebendigen Alltag anbieten, in dem neben
intellektueller Förderung dem eigenständigen Denken, Handeln und Fühlen viel
Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Kurzum sollen Bildung und Erziehung nicht getrennt
voneinander, sondern gemeinsam einerseits Sachkompetenz, andererseits sittliche
und soziale Kompetenz fördern.
„Kinder und Jugendliche brauchen zum Wachsen die Freiheit“
Montessori führt den Begriff „Erdkinderschule“ ein, einer
Schule für „alle Kinder dieser Erde“ mit unterschiedlichen geistigen und
körperlichen Fähigkeiten. Laut Idealvorstellung M. Montessoris soll für
Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren herkömmliche Schule abgeschafft werden,
da die Reifezeit Jugendlicher sehr schwierig sowohl körperlich als auch
seelisch verläuft. Montessori schlägt stattdessen vor, dass Jugendliche auf dem
Lande, fern von ihrer gewohnten Umgebung leben. Sie stellt sich ein Dorf auf
dem Lande vor mit:
- Bauernhof als Stätte der Produktion,
- Handelsgeschäft als Stätte des Vertriebs, des Warenaustausches und der Kommunikation,
- Gästehaus als Dienstleistungs- und Kontakteinrichtung.
Diese Einrichtungen sollen gemeinsam von Jugendlichen und
begleitenden Erwachsenen mit dem Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit
geführt werden. Die Möglichkeit für die Jugendlichen, selbst Geld zu verdienen,
soll nach Montessoris Vorstellung ihre soziale Unabhängigkeit stärken. Das
Landschulleben bietet wichtige Erfahrungen gesellschaftlichen Zusammenlebens
und die Möglichkeiten eigenen Ausdruck zu finden, was unter anderem ein
Interesse für Naturwissenschaften und Geschichte anregen kann.
Heute könnte so eine Vorstellung einem überholt erscheinen.
Und dennoch praktizieren viele reformpädagogische Schulen solche „Studien- und
Arbeitszentren“, die zwar nicht die reine Form „des Lebens auf dem Lande“ nach
Montessori darstellen, bieten den Schülern jedoch viele wichtige Erfahrungen
„des realen Lebens“, die in einer regulären Schule nicht Teil des Unterrichts
sind.
Montessori lehnte zwar einen
festgelegten Arbeitsplan für ihre "Erfahrungsschule" ab, hob jedoch folgende
Bereiche hervor, denen im Jugendalter ihrer Meinung nach besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden soll.
Die Moral: Hier geht es nicht um „vorbestimmte“ sittliche Normen, es
geht um zwischenmenschliche Beziehungen und Achtung voreinander, die nicht
zwanghaft angeordnet werden, sondern bewusst erarbeitet, erlernt und natürlich
gelebt werden. Damit dieser Entwicklungsprozess vonstattengeht, sollen
Jugendliche eine würdige Behandlung und eine großzügige Anerkennung ihrer
Erfolge seitens Erwachsener erfahren. Sie brauchen zwar mehr Freiheit für ihre
Initiativen, sollen jedoch bei deren Umsetzung begleitet werden.
Der Leib: Montessori betont die Wichtigkeit körperlicher Aktivität,
Sports, körperlicher Arbeiten, gesunder Ernährung, Suchtprävention. Durch das
bewusste, achtsame Umgehen mit eigenem Körper wird das Selbstwertgefühl
gestärkt. Trotz des veralteten Begriffes Leib sind alle genannten
Aspekte brennend aktuell. Zahlreiche Errungenschaften der Technik und der
Lebensmittelindustrie unserer Zeit führen unter anderem zu einem starken
Bewegungsmangel durch Medienkonsum und falschem Essverhalten (Fastfood,
Essstörungen).
Programme und Methoden (Erziehungs- und Bildungsinhalte): Hier wird die
Notwendigkeit des persönlichen Ausdrucks hervorgehoben. Unterstützend
dabei sind die Musik, die Rhetorik, das Theaterspielen, die Sprache sowie die
bildenden Künste. Weiterhin hält Montessori die Förderung der drei
schöpferischen Elemente des psychischen Seins für sehr wichtig. Sie benennt
die Moral, die für Ausgeglichenheit sorgt, die Mathematik, die
wesentlich zum Begreifen der Welt beiträgt, und die Sprachen, die den
persönlichen Ausdruck ermöglichen. Schließlich geht es um die kosmische
Erziehung Jugendlicher.
Familienleben jugend- und elterngerecht gestalten
Zweifellos erscheinen manche Aspekte der
Montessori-Jugenderziehung idealistisch, dogmatisch oder nicht mehr aktuell.
Sie hat sich außerdem wenig zur Familienerziehung geäußert. Und dennoch sind
ihre Überlegungen und Vorschläge voller Anregungen und Ideen sowohl für
Pädagogen als auch für Eltern. Oft ist es eine flexible Interpretation. Aber
erfordert die Erziehung Jugendlicher etwa nicht viel Flexibilität und
Offenheit? Die Kinder- und Jugenderziehung sollte nach Montessori ein interaktiver,
dialogischer Prozess sein. Sie ist die Chance für uns, Erwachsene, sich
selbst besser kennen zu lernen, mit unseren Schwächen und Stärken, positiven
und negativen kindlichen Erlebnissen und Erfahrungen, die letztendlich unsere
Verhaltens- und Denkmuster bestimmen. Spätestens währen der Pubertät eigener
Kinder ist es Zeit, unsere dicken synaptischen Verbindungen im Gehirn mal zu
„verlassen“ und neue „anzulegen“. Es bedeutet für alle Beteiligten mehr
Freiheit und Flexibilität, mehr Achtung voreinander und Anerkennung einander. Und
je besser wir uns kennen, je höher wir uns wertschätzen können, desto einfacher
gelingt uns ein entspannter Umgang mit unseren pubertierenden Teenagern. Wir
können nicht nur ein Vorbild für unsere Kinder sein, sondern von ihrer
turbulenten Kreativität und ihren frischen, unvoreingenommenen Ansichten auf
unsere Gesellschaft und unsere gemeinsame Welt profitieren. Wäre es nicht
schön, ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben sich wohler und vertrauter in
der eigenen Familie und in unserer Umgebung zu fühlen?
(In Anlehnung an das Buch „Montessori in der Pubertät“ von
Claudia Schäfer)
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