Was ist Religion?
Womit assoziieren wir den Begriff Religion? Mit dem Glauben? Der Kirche und der Liturgie? Ist das Ehrfurcht oder sogar Angst vor Gott? Oder denkt man hierbei vielmehr an die Seele und Spiritualität? Für Maria Montessori war Religion für die Entwicklung des Menschen von fundamentaler Bedeutung. Sie erfasste die Religion als "etwas, das im Inneren jeder Seele ist", "eine universale Empfindung, die in jedem Menschen existiert", und auch wie die Sprache für jede Menschengruppe kennzeichnend ist. Die Bindung zur Religion hilft die Fragen nach dem Sinn des Lebens zu beantworten.Eine Montessorianerin
Maria Montessori war trotz des geistigen und religiösen Umbruchs in Italien Ende des 19. Jahrhunderts eine aufrichtig gläubige Katholikin. Ihre Religiosität ging jedoch von der Realität und der sozialen Wirklichkeit aus. Sie wehrte sich gegen eine Instrumentalisierung des Glaubens und ermutigte zu einem aktiven Glaubensleben. Diese Einsichten beeinflussten ihre ganze pädagogische Arbeit einschließlich des Konzeptes der religiösen Erziehung. Maria Montessoris pädagogischem Konzept wird aufgrund ihrer Konfession oft katholische Substanz zugeschrieben. Andererseits lebte sie während des zweiten Weltkrieges in Indien, wo sie engen Kontakt und pädagogische Kommunikation mit der Theosophischen Gesellschaft hatte. Zweifellos beeinflusste dies ihre religiösen und pädagogischen Ansichten ebenfalls. Aber auf die Frage, ob sie Theosophin sei, antwortete sie: "Ich bin eine Montessorianerin". Maria Montessori war zwar gläubig, aber gleichzeitig sehr weltoffen. Sie selbst betonte immer, dass ihre Pädagogik an alle Kinder, "allen Glaubens und aller Rassen" adressiert wäre.Das Wunder der Schöpfung
Die Maximen für religiöse Erziehung leitete M. Montessori nicht von den traditionellen Glaubensinhalten einer bestimmten Konfession ab, sondern vielmehr aus "ihrer" Anthropologie: Sie verstand die Welt als Schöpfung Gottes mit ihren festen Gesetzen. Jedes Lebewesen hat seine Aufgabe in diesem "Kosmos", von deren Erfüllung das lebenswichtige Gleichgewicht des Ganzen abhängt. Der Mensch hat als aktivste wirkende Kraft die Aufgabe, seine Umgebung zu verändern und zu vervollkommnen. Maria Montessori betrachtete das Kind als wunderbares einmaliges Geschöpf, das von Natur aus religiös ist und eine gute Seele besitzt. Das Kind muss im Laufe der Entwicklung seiner kosmischen Aufgabe bewusst werden und somit eigene Bedürfnisse verstehen und seinen Platz im Universum finden. Das Ziel der religiösen Erziehung nach M. Montessori liegt in der "leiblichen, intellektuellen und geistlichen" Einheit des Kindes. Ein bemerkenswerter Widerspruch zu dem dualistischen Verständnis des alten Christentum, "der Mensch besaß einen vergänglichen Körper und eine unsterbliche Seele".Religiöse Erziehung vom Kinde aus
Die wichtigste Voraussetzung der (religiösen) Erziehung sieht Maria Montessori in der Achtung vor der Persönlichkeit des Kindes. Ähnlich wie bei der körperlichen und der geistigen Entwicklung betont sie die Wichtigkeit der selbständigen Verwirklichung der "inneren religiösen Gabe" des Kindes. Erwachsenen wird wiederum die Rolle eines liebevollen aufmerksamen Begleiters zugeteilt, der die richtige Umgebung für die Entfaltung der Religion schaffen soll. Sensible Phasen für das Religiöse: Die religiöse Erziehung muss laut M. Montessori von Geburt an anfangen. Schon im frühen Alter können die Kinder zusammen mit Erwachsenen am religiösen Leben teilhaben, indem sie in die Kirche mitgenommen werden, religiöse Bilder und Gegenstände betrachten, kirchlichen Ritualen beiwohnen. Ihr "absorbierender Geist" sorgt für anfangs unbewusste und später bewusste Aufnahme des religiösen Geschehens. Im Alter von drei bis sechs Jahren ist das Kennenlernen durch Mitmachen am wichtigsten. Man könne mit den Kindern singen, beten, Bilder anschauen, Geschichten vorlesen oder nachspielen. In diesem Alter ist das Bedürfnis nach Liebe und Schutz sehr hoch. Diese sollen durch religiöse Inhalte vermittelt und gestärkt werden. Im Alter von sechs bis zwölf Jahren wird das Religiöse intensiver und bewusster aufgenommen und erlebt. Die Kinder können und wollen zwischen Gut und Böse unterscheiden. Das moralische und das soziale Bewusstsein bilden sich heraus. Daher ist eine Anknüpfung an die kosmische Erziehung in dieser Altersstufe sehr sinnvoll, so dass die Zusammenhänge in Natur, Kultur und auf sozialer Ebene im Hinblick auf die religiöse Dimension erschlossen werden. Die Phase zwischen zwölf und 18 Jahren ist durch psychische Labilität und Selbstfindung gekennzeichnet. Durch erhöhte soziale Sensibilität ist in dieser Periode eine Auseinandersetzung mit der Umgebung und Suche nach eigener Stellung im Leben äußerst wichtig. Hierfür fand Montessori Meditations- und Stilleübungen sehr wirkungsvoll. Nach ihrer Ansicht können Jugendliche erst in diesem Alter Glaubens- und Kirchengeschichte bewusst wahrnehmen und lernen.Religion als Unterrichtsfach
Die Religion ist aus Sicht von Maria Montessori unabdingbar für die Selbstempfindung des Menschen als wichtigen Teil der Schöpfung, der Natur und der Kultur. Sie stellt jedoch kein Unterrichtsfach wie jedes andere dar. "Man kann Religion nicht geben, weil sie schon im Inneren ist. Man muss dafür sorgen, dass sie sich entwickelt". Ähnlich wie beim Spracherwerb sollte man die Entwicklung der Religion im direkten Umgang und durch eine vorbereitete Umgebung fördern. Dies würde den Kindern erlauben, selbst ihre religiösen Bedürfnisse zu leben. In den meisten Montessori-Einrichtungen gibt es entweder einen Atriumraum, den Raum der Stille und Feierlichkeit, oder eine "Stille Ecke", einen ruhigen Ort für "Stille-Übungen", der von den Kindern entsprechend der Jahreszeit oder nach den Festen sorgfältig geschmückt und eingerichtet wird, z.B mit frischen Blumen, einer brennenden Kerze, einem Gebetsbuch oder einem biblischen Kinderbuch. Hier können die Kinder allein oder gemeinsam "Stille-Übungen" vornehmen. Auch die Wiederholung der Materialübungen ermöglicht eine Konzentration, die mit Meditation gleich zu setzen ist. Die kosmische Theorie als Basis für eine überkonfessionelle religiöse Erziehung Montessoris Betrachtung der religiösen Erziehung mag besonders denjenigen, die sich als nicht religiös bezeichnen, auf den ersten Blick zu übernatürlich und nicht wissenschaftlich fundiert erscheinen. M. Montessori erachtet die Religion jedoch unabhängig von den Konfessionen und Theologien. Ihre aus einer sorgfältigen, wissenschaftlichen Beobachtung entstandenen Gedanken gelten einer tieferen, nicht greifbaren Ebene der menschlichen Natur und deren Verbundenheit mit der Welt. Ein sorgfältiger Umgang mit dieser inneren "unfassbaren Gabe" ermöglicht deren Träger eine harmonische Eingliederung in das weltliche Geschehen. Mann könnte es vielmehr als seelische Gesundheit und Stabilität auffassen, also "im Gleichgewicht sein" mit sich selbst und der Umwelt."Hilf und, o Herr, die Geheimnisse des Kindes zu ergründen, dass wir erkennen, es lieben und ihm dienen können gemäß deinem göttlichen Willen folgend"
Ein Gebet verfasst von M. Montessori
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